Interview mit Mathieu Leroux

3. November 2014 | nachgefragt

Der Körper gewöhnt sich gerade wieder an die richtige Zeit, an die Zeit vor der Sommerumstellung. Morgens ist es früher hell, abends schon ziemlich früh dunkel. Am Morgen des 28. Oktober schien in Berlin die Sonne. Vor dem blauen Himmel zeichneten sich die ersten kahlen Äste einiger Bäume ab. Ich schlenderte durch ein Berlin Friedrichshain voller Baustellen und traf mich am U-Bahnhof Warschauer Straße mit dem Autor, Regisseur, Schau- und Marionettenspieler Mathieu Leroux. 2013 ist sein erster Roman Dans la cage bei Héliotrope erschienen, für die dritte Ausgabe des Flaneur Magazines schrieb er einen Text über die Rue Bernard in Montréal, die im Fokus dieser Juni-Ausgabe stand. Vom U-Bahnhof Warschauer Straße führte uns der Weg zum Volkspark Friedrichshain, wo es ruhig war, das Laub unter den Füßen raschelte und wo wir ein Fleckchen entdeckten, an dem der Sonnenschein zum Verweilen einlud. Dort machten wir eine Pause von unserem herbstlichen Spaziergang und sprachen über die Städte Berlin, New York und Montréal, die uns beide faszinieren. Er erzählte mir, was er über die deutsche Sprache denkt, wie er einen Roman vorbereitet und schreibt und gewährte mir auch erste Einblicke in seinen neuen Roman, auf den wir allerdings noch eine Weile warten müssen.

Was hat dich nach Berlin geführt?

Mathieu: Berlin interessiert mich schon seit langem. Dann hat sich mein neuer zweiter Roman sehr schnell abgezeichnet infolge eines immer gleichen Prinzips, nach dem ich arbeite. Ich nenne es das Quadrat. Sobald ich die vier Ecken des Quadrats besetzt habe, bin ich bereit mit dem Schreiben und den Recherchen für den Roman zu beginnen. Das Quadrat beginnt zuerst mit dem Thema. Beim zweiten Roman ist es die Erinnerung, die sich auslöscht. Dann folgen Ort und ein Text, mit dem ich in einen Dialog treten möchte oder über den ich Lust habe, nachzudenken und schließlich eine Hauptfigur. In diesem Fall ist der Vater die Hauptfigur und die erste Ecke ist besetzt. Wegen des Vaters gibt es einen Text von Kafka mit dem Titel Brief an den Vater. Es ist ein sehr kurzer wunderschöner Text, in dem Kafka über die sehr eigenartige Beziehung spricht, die er zu seinem Vater hat – es ist beinahe so, als ob der Vater für ihn ein Fremder wäre –, und von der Unliebe, die er für seinen Vater empfindet und umgekehrt, die sein Vater für ihn fühlt. Auch wenn Kafka aus Prag kommt, ist die deutsche Sprache wichtig geworden. Weil der Protagonist sich für eine Erinnerung entschieden hat, die sich auslöscht, wurde dies das zentrale Thema. Somit hatte ich die drei Ecken des Quadrats ausgefüllt. Aus diesem Thema, der Unmöglichkeit sich zwischen Vater und Sohn zu lieben, entstand die Idee von einer Mauer, die sie voneinander trennt, und Berlin komplettierte bald das Quadrat. Von diesem Moment an war ich bereit für den Roman. Ich hatte die Struktur und es war Zeit, nach Berlin zu gehen.

Als du im August in Berlin angekommen bist, haben sich da deine Erwartungen von der Stadt bestätigt?

Mathieu: Ich habe mir gesagt, ich gehe in eine Stadt, die sehr aufregend ist, die eine sehr aufgeladene Geschichte in sich trägt und die sehr bedeutende historische Spuren aufweist. Zudem ist es eine Stadt, die den Ruf hat, eine sehr aufregende Kultur zu haben. Mit diesen Vorstellungen kam ich her. Nun denke ich, dass es eine Stadt ist, die sehr aufregend ist und in der die Dinge einfach sind. Ich finde den Rhythmus der Stadt relativ langsam auch wenn so viele Dinge passieren, so viele Menschen da sind, so viele Touristen und sich die Immigration deutlich zeigt. Es ist eine Kultur, die im Zentrum der Stadt stark pulsiert und dennoch spürt man eine Art von Ruhe. Kam Berlin also meinen Erwartungen nach? Ja. Bin ich von der Stadt überrascht? Ich denke nicht, dass das eine schlechte Sache ist, aber es gab nichts, bei dem ich gesagt hätte: „Oh mein Gott, das ist also so in Berlin.“ Die Dinge laufen wie von selbst. Die einzige Sache, die ich verpasst habe, ist die Art von Verrücktheit und Leidenschaft, die zu Berlin gehören sollen, die ich aber in den vergangenen drei Monaten nicht erlebt habe.

Du hast die deutsche Sprache bereits angesprochen. Du hast in Montréal und Berlin Deutschkurse belegt. Welche Beziehung hast du aktuell zur deutschen Sprache und möchtest du sie weiterhin lernen?

Mathieu: Ich bin hier überwiegend in einem Arbeitsmodus, arbeite an anderen Dingen, recherchiere für den neuen Roman und dann wollte ich das Leben hier genießen. Es gibt hier so viele Dinge, die in den Galerien, den Konzertsälen passieren, so dass das Erlernen der Sprache nicht unbedingt Priorität hatte. Ich machte den Kurs am Goethe Institut; das waren allerdings nur die Grundkenntnisse. Aber ich möchte die Sprache weiterhin lernen, denn es ist eine Sprache, die ich sehr gerne höre. Ich kann den ihr nachgesagten Ruf, sie sei trocken und kalt nicht bestätigen, denn wenn ich sie höre, finde ich sie sehr effizient z.B. in ihrem Rhythmus und sehr poetisch. Das Klischee, sie sei sehr kantig, gebrüllt, aggressiv, ist meiner Meinung nach mit ihrem historischen Ballast verbunden. Ich finde, dass Deutsch eine Sprache ist, die sehr musikalisch ist. Deshalb möchte ich auch, dass in meinem Roman, an dem ich gerade arbeite, Spuren von ihr enthalten sind, denn sie war Teil meiner dreimonatigen Reise. Ich würde es nicht logisch finden, das zu negieren. Genauso wird das Englische Eingang finden, weil ich mich hier hauptsächlich auf Englisch verständigt habe. Bereits in meinem Roman Dans la cage war das so, weil ich ihn in New York geschrieben habe. Ich denke, wir leben im 21. Jahrhundert und die Welt ist nicht mehr lokal sondern global. Wir sind von anderen Kulturen infiziert. In Montréal sind wir eine ganze Generation, die oftmals zweisprachig ist: Französisch und Spanisch, Englisch und Französisch, Französisch und eine weitere Sprache. Ich finde es schade, diese doppelte Kultur und diese reiche Identität zu negieren. Ich führe mit Freunden bereichernde Gespräche über Politik und Philosophie während sie Englisch sprechen und ich Französisch. Natürlich ist es wichtig, die französische Sprache zu kultivieren, ein gutes Französisch zu sprechen und es einwandfrei zu schreiben. Danach liegt es aber in deiner Hand, welche Ausdrücke du wählst. Ich mag diese Sprechfarbe, die ich montréalaise nenne. Es ist die französische Sprache, die von englischen oder Begriffen anderer Sprache durchzogen ist. So sagen wir zum Abschied oft „Ciao“, was nicht Französisch sondern Italienisch ist.

Hast du ein Lieblingswort aus der deutschen Sprache?

Mathieu: Es gibt mehrere Wörter, die mich oft aufgrund ihres Klangs ansprechen. Der Klang der Wörter, die mich am meisten amüsieren, sind nicht unbedingt die relevantesten Wörter. Ich mag es sehr wie hier z.B. jedermann zum Späti geht. Wenn wir in Québec dépanneur [das Québecer Pendant zum Späti] sagen, will das nichts weiter heißen, aber das deutsche Wort hat für mich etwas Festliches. Vielleicht weil es sie überall gibt und sie ständig geöffnet sind. Du kaufst dir dort dein Bier, Schokolade, Junkfood.
Dann gibt es da noch den Klassiker: „Scheiße“. Es ist ein Wort, das man so oft benutzt: „Merde“ auf Französisch, „Fuck“ auf Englisch und eben „Scheiße“ auf Deutsch. Solche Wörter lassen sich schnell mal in einem Gespräch unterbringen. Und „Scheiße“ hört man auch mal in Montréal, auch wenn die Leute kein Wort Deutsch sprechen, kennen sie eine/n Deutsche/n und haben das Wort in ihren Wortschatz übernommen.

2013 erschien dein erster Roman Dans la cage beim Verlag Héliotrope. Mich haben beim Lesen die Struktur, der Stil und das Thema sehr beeindruckt und in den Bann gezogen. Wie ist der Roman entstanden?

Mathieu: Es gab zu Beginn wieder das Quadrat. In diesem Fall waren die Orte Montréal und New York, die Hauptfiguren – denn es gab zwei –, waren der Bruder und die Mutter, Themen waren Gewalt und Verachtung, Verachtung gegenüber Anderen und gegenüber sich selbst und die Texte, mit denen ich in einen Dialog trat, waren von Hervé Guibert und Guillaume Dustan, zwei französischsprachige Autoren also, die beide infolge von Krankheiten, die in Verbindung mit Aids stehen, in den 1990er Jahren verstorben sind. Beide praktizierten autobiographisches Schreiben.
Die Texte sind zwei Tagebücher von sehr unterschiedlichen Menschen. Guibert schrieb ein sehr persönliches, intimes Tagebuch, in das er Leute aus seinem Umfeld integriert hat. Dustan hatte einen eher mechanischen, kühleren Schreibstil, der sehr faktisch ist. Beide Arten sind in Dans la cage eingeflossen. Es galt nur noch herauszufinden, in welcher Art und Weise. Ich wollte, dass beide nebeneinander stehen und sich nach und nach einander annähern bis sie ineinander fließen. Passend dazu wollte ich zwei unterschiedliche Rhythmen haben: für die eine Erzählform musste ich den besonderen Atem eines intimen Tagebuchs finden, durch den eine Innenschau möglich war als auch eine gewisse Lyrik, ohne dabei zu sehr eine Opferrolle zu stilisieren. Andererseits suchte ich eine sehr faktische, mechanische Art und Weise der Darstellung der anderen Figur.

Eines Tages in der Zukunft befindet sich der Protagonist deines Erzählstrangs des Intérieur, also des intimeren Tagebuchstils, in New York. Dort erkennt er an bestimmten Orten Montréal wieder. Es sind besonders solche Orte, die ihn geprägt haben und an die er eine schmerzliche Erinnerung hat. Denkst du, dass man sein zu Hause überall in der Welt wiederfinden kann?

Mathieu: Ja, das glaube ich. Jedenfalls denke ich, dass man immer, wenn man für eine Weile auf Reisen ist – nicht wenn man irgendwo in der Ferien ist und eher Tourist und Entdecker ist –, dass es eine Art Wunschdenken gibt und man sich fragt, ob man an dem Ort wohnen könnte, ob das Leben woanders als in der Stadt möglich ist, in der man geboren ist und in der man mehr als 30 Jahre gelebt hat. Diese Vorstellung hat man, wenn man unterwegs ist und nach mehreren Wochen, Monaten weiß man dann, ob es nur eine Stadt zum Reisen ist oder ob sie einem eine Art der Verankerung bietet und einem sagt, dass man dort länger leben könnte. Es gibt also Orte, die einem bestimmte Ereignisse oder gewisse Vorkommnisse in Erinnerung rufen. Als wir z.B. den Volkspark Friedrichshain betreten haben, erinnerte er mich an den Prospect Park in Brooklyn. Der Tiergarten ist dagegen eher wie der Central Park in New York, Manhattan. Bezogen auf Montréal denke ich, dass der Parc Lafontaine dem Central Park und dem Tiergarten ähnelt, während der Parc Laurier ein wenig wie der Prospect Park ist, kleine Cousins der großen Parks also, die sich weniger die Touristen anschauen, sondern eher Orte für die Anwohner sind.

Dein Protagonist kann folglich seinen Schmerzen nicht entfliehen. Vielmehr nimmt er sie mit, wenn er nach New York geht.

Mathieu: Ja genau, weil die Sachen nicht geregelt sind. Ich glaube, wenn du Erinnerungen hast, die bleiben, die immer wieder kommen, dann weil die grundlegende Sache noch nicht geregelt ist. Das Kapitel Futur Intérieur ist deshalb sehr wichtig und viele Leute vergessen, dass es dieses Kapitel gibt, weil es sich in der Mitte des Romans befindet und die Geschichte mit einem Schlüsselmoment in Bezug mit seinem Bruder endet. In diesem zentralen Kapitel, das zehn Jahre später in New York spielt, realisiert er, dass die Wunden noch da sind. Sie sind nicht wirklich geschlossen, nicht verheilt und so geht es ihm nach zehn Jahren nicht wirklich besser. Er hat zwar etwas in Bezug zur Familie geregelt aber einige Jahre später in New York ist er immer noch im Bann alter Verletzungen.

Dans la cage endet mit einer Playlist, die elf Songs von Miike Snow, David Bowie, New Order, White Lies, Gossip und anderen enthält. Ist das eine Art Soundtrack zum Buch?

Mathieu: Auf jeden Fall. Die elf Songs sind auf unterschiedliche Art und Weise im Roman enthalten. Manchmal ist es nur der Name des Musikers. Als der Protagonist des Erzählstrangs Extérieur die Bar betritt, hört er einen Song von Twin Shadow im Hintergrund laufen. Es wird nicht mehr über den Song gesagt. Er spürt nur das Pulsieren des Songs. Als er sich im Keller der Bar befindet, hört er Bowie nur im Stillen. Er ist jemand, der die Dinge in seiner Umgebung sehr bewusst wahrnimmt: über das Tasten, über Gerüche, das was mit dem Auge wahrnehmbar ist oder spürbar. Die Dinge, die er hört, alle Töne sind für ihn sehr klar.
Seit ich Jugendlicher war, ist mir Musik sehr wichtig und ich möchte sie gern in meine Arbeit integrieren. Als ich mit dem Schreiben für Dans la cage begann, war es für mich klar, dass er, wenn er die Bar betritt, sofort wahrnimmt, was für Musik gespielt wird. Denn so geht es mir, denke ich, auch. Ich frage mich dann gleich: Welche Musik läuft? Ich das meine Art von Musik? Es ist beinah so, als ob die Musik, die läuft, mir vorgibt, wie der Abend laufen wird, ob ich Lust habe zu trinken, zu tanzen, mit Anderen zu reden.
Die Musik wurde zu einem wesentlichen Teil des Schreibens und ich hatte Lust eine Art Playlist zu erschaffen, die für den Protagonisten existiert und sie auch zu erwähnen. Ich mag es mich herauszufordern mit etwas, das nicht literarisch ist. Musik hört man, man spürt sie. Wie kann man sie lesen, wenn sie keine Partitur ist und man selbst kein Musiker? Ich fragte mich – so wie auch bei meinem zweiten Roman, in dem ich das nicht literarische Medium Photographie einbinden werde –, in welcher Art ich daraus Literatur machen kann. So entschloss ich mich, diese Playlist ans Ende des Romans zu stellen. Ich fand es wichtig, dass der Leser die Möglichkeit hat, in die Songs reinzuhören, um zu erfahren, was sie über die Geschichte bzw. den Zustand des Protagonisten aussagen. Und wenn nicht, ist das auch gut. Genauso plane ich es mit den Photos in meinem zweiten Roman. Ich möchte einen Link am Ende einfügen, durch den die Leser sich die Polaroids, die in dem Roman enthalten sein werden, anschauen können.

Wann rechnest du denn mit der Veröffentlichung deines zweiten Romans?

Mathieu: Ich hoffe, dass ich kommenden Sommer eine erste Version habe. Ich bin mir zu diesem Zeitpunkt aber nicht sicher, dass ich es schaffe und gehe eher von zwei Jahren aus. Also hoffentlich im Juni 2016, was noch verdammt lange hin ist. Dann geht das Manuskript an den Verlag. Wenn es veröffentlicht wird, wird der Roman wahrscheinlich Anfang 2017 erscheinen.

Kehrst du mit Büchern deutscher Autoren nach Québec zurück?

Mathieu: Mit dem Theaterstück Erotic crisis, dass ich sehr interessant finde. Es wurde vom Ensemble des Maxim Gorki Theaters geschrieben. Das Stück spielt in Berlin. Die Figuren wechseln ihre Sprache vom Englischen ins Deutsche. Es gibt z.B. auch ein Mädchen aus Israel und sie benutzt Worte aus ihrer Muttersprache. Das mochte ich sehr. Ansonsten ist Kafka ein bedeutender Autor für mich. Werke zahlreicher Bildender Künstler nehme ich ebenfalls mit. Was das geschriebene Wort angeht, noch nichts, da ich die Sprache nicht ausreichend beherrsche. Aber wenn ich wiederkomme und die Sprache besser kann, möchte ich entdecken, was in der zeitgenössischen deutschen Literatur passiert. Wer sind ihre jungen Autoren? Was veröffentlichen sie? Wozu arbeiten sie? Was stellen sie in Frage? All das interessiert mich sehr.

Und zu guter Letzt Mathieu: Was sind deine Lieblingswerke der Québecer Literatur?

Mathieu: Was die französische Literatur angeht, fällt es mir leicht zu antworten: Baise-moi von Virginie Despentes. Für mich ist das ein sehr wichtiger, grundlegender Text, der mich geprägt hat. Ich las das Buch als ich 17 war. Ich erinnere mich noch, wo ich es gekauft habe und in welchem emotionalen Zustand ich war. Die Lektüre war ein elektrischer Schock und hat mir gezeigt, was Literatur sein und wo sie mich hinführen kann. Bücher der Québecer Literatur zu nennen fällt mir schwerer. Ich nenne lieber Autoren als einzelne Werke. Als erstes Hubert Aquin, der sehr dunkel, äußerst philosophisch und zugleich sehr romantisch ist. Über längere Zeit glaube ich ihn nicht lesen zu können, denn er hat einen sehr schweren, dichten und komplexen Schreibstil. In einer ganz anderen Stimmlage, die eher pop ist, muss ich Michel Tremblay nennen. Seine aktuelleren Werke mag ich zwar etwas weniger, aber seine ersten Romane, seine Familiensaga über das Plateau-Mont-Royal und seine ersten 20 Theaterstücke sind mir sehr wichtig. Dann bin ich großer Fan von Catherine Mavrikakis. Sie ist für mich eine sehr wichtige Autorin. Sie schreibt über Menschen, über Hysterie, über Wut, Familie und Herkunft, alles Themen, die mich unglaublich beschäftigen. Sie ist vielleicht nicht damit einverstanden, dass ich das sage, aber sie hat meiner Meinung nach einen zornigen, einen sehr impulsiven Schreibstil, der gleichzeitig sehr intellektuell ist. Sie hat sehr bedeutende Texte geschrieben, Fleurs de crachat ist z.B. einer, Deuils cannibales et mélancoliques, ihr erster Roman, der außergewöhnlich ist und ein Essay, eine Serie von kurzen Essays mit dem Titel L’éternité en accéléré, was vor einigen Jahren erschienen ist. Es ist ein Buch, das ich oft in meiner Tasche dabei hatte, um einzelne Auszüge wieder zu lesen. Dann ist da noch Le tigre blanc von Jean-Pierre Bélanger, ein Buch, das ich seit Jahren nicht mehr gelesen habe, aber das sehr für meine Jugend steht. Es war ebenfalls ein Buch, das ich über Jahre hinweg in meiner Tasche hatte und das über die Zeit immer mehr Flecken und Eselsohren erhielt. Zu guter Letzt ist da noch Emmanuel Aquin, der Sohn von Hubert Aquin, der allerdings in einem ganz anderen wahnsinnigen, fiktionalen Bereich schreibt. Er hat eine atemberaubende Trilogie geschrieben mit den Titeln Incarnation, Réincarnation, Désincarnation, die sehr philosophisch, sehr gehaltvoll und wahnsinnig ist. Ich glaube, diese Trilogie wurde noch zu wenig gelesen, aber für mich ist sie von sehr großer Bedeutung.
Ich könnte mich jetzt noch dem Québecer Theater zuwenden, denn es gibt so viele außergewöhnliche, relevante Dramatiker. Aber ich belasse es heute dabei.

Wir werden sicher die Gelegenheit haben, uns über die Québecer Theaterszene zu unterhalten. Für den Moment danke ich Mathieu Leroux sehr und wünsche ihm viel Erfolg für seinen zweiten Roman, der u.a. in Berlin spielen wird.
Einen anderen Spaziergang durch Berlin habe ich in diesem Jahr mit Tristan Malavoy-Racine gemacht. Er ist Journalist, Autor und Musiker. In der aktuellen Ausgabe der Québecer Zeitschrift L’Actualité erschien sein Artikel „Ballade à Berlin“, nachzulesen hier.