Interview mit Élise Turcotte

15. März 2016 | nachgefragt

Die Romane und Gedichte von Élise Turcotte sind neben der Originalsprache Französisch auch in Englisch, Spanisch, Katalanisch, Finnisch und Deutsch zu lesen und machten sie so auch außerhalb der frankokanadischen Provinz Québec bekannt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Book and you stellte sie sich am 25. Februar 2016 zum ersten Mal dem Berliner Publikum vor und das mit Erfolg.
Während ihres Berlinaufenthalts, den sie auch dazu nutzte Museen zu besuchen, in Parfümerien zu stöbern und ihre Eindrücke von ihrem ersten Besuch der Hauptstadt 2010 zu erneuern, traf ich die Autorin an einem Tag zwischen Winter und Frühling. Nachdem ich mit ihr vor knapp vier Jahren in Montréal mein erstes Interview geführt habe, saß ich ihr so erneut gegenüber. Ich erfuhr, dass ihr damaliger Berlinbesuch auch in ihr Schreiben eingeflossen ist: Zum einen in die Kurzgeschichte „Musée Käthe-Kollwitz“ aus L’autobiographie de l’esprit (La Mèche 2012) und zum anderen in ein noch unveröffentlichtes Gedicht. Im Interview sprachen wir über ihre Karriere, die ihr gar nicht als solche vorkommt, über Neuauflagen und Übersetzungen ihrer Publikationen und als ich ihr Fragen zu ihrem aktuellen Roman Le parfum de la tubéreuse stellte, gelangten wir auch zu ihrem beeindruckenden Roman La maison étrangère, der in gewisser Weise diesem vorausgeht. Und zum Abschluss des Interviews erzählte mir Élise Turcotte, wie es ist eine Tochter zu haben, die gerade ihren ersten Roman veröffentlicht hat.

© J. Wegner

Wann hast du angefangen zu schreiben und welche Genres waren am interessantesten für dich?

Élise: Ich kann mich kaum daran erinnern, wann ich angefangen habe. Ich habe schon immer geschrieben. Als ich klein war, schrieb ich Gedichte. Mit Gedichten fing ich also an und veröffentlichte sie zehn Jahre lang u.a. in Zeitschriften. Danach wendete ich mich der Prosa zu. Mir fällt gerade ein, dass das erste Buch, das ich geschrieben habe, eine Kurzgeschichte war. Sie entstand, als ich an der Universität war. Dort hatte ich einen Professor namens Jacques Renaud, der den Roman Le cassé geschrieben hat. Er hatte damals einen kleinen Verlag gegründet und beschloss, meine Kurzgeschichte zu veröffentlichen. Sie hieß La mer à boire [Éditions de la lune occidentale 1980]. Ich war damals 22. Ist das schon lange her …

Hast du damals eine Karriere als Autorin angestrebt?

Élise: Daran habe ich nie gedacht. Als ich jung war, wollte ich Schauspielerin werden. Als die Schulzeit zu Ende ging, wollte ich eigentlich Theater studieren, was ich dann aber doch nicht gemacht habe. Und zwar deshalb nicht, weil mir klar wurde, dass ich die Theaterautoren ihrer Texte wegen mochte und nicht wegen der Aufführungen. Ich mochte Tenessee Williams und beinah alle amerikanischen Autoren. Als ich mich dann entscheiden musste, sagte ich mir, dass ich denselben Text nicht immer wieder auf der Bühne wiederholen könnte. Ich muss schreiben, denn das ist es, was ich mag.
Weil ich schon sehr jung meine ersten Texte veröffentlichte, dachte ich kaum darüber nach, dass ich das mein ganzes Leben lang machen würde und dass das so gut laufen würde, dass ich das Glück hatte, viele Leute aus der Branche zu treffen und meine Bücher zu publizieren. Wenn ich schreibe, fühlt es sich so an, als ob ich nie etwas anderes gemacht hätte. Und für mich fühlt es sich so an, als ob ich immer noch an meinem ersten Buch schreibe.

Du hast Gedichtbände, Kinderbücher, Kurzgeschichten und Romane veröffentlicht. 2015 ist dein fünfter Roman erschienen. Die vier anderen wurden u.a. auch im Englischen herausgegeben. Was hat das für dich verändert?

Élise: Für einen Autor ist die Übersetzung seiner Romane wirklich toll. Als erstes, weil das seine Leserschaft erhöht. Ich konnte Leser und Autoren im englischsprachigen Teil Kanadas kennenlernen, was sonst eher selten ist. Und dann ist die Übersetzung an sich eine spannende Sache. Ich tausche mich mit meinen Übersetzern aus und wir arbeiten oft zusammen. Manchmal denke ich, dass sie viel besser sind als ich. Denn manchmal entdeckt man in einer anderen Sprache eine Unstimmigkeit in seinem Buch. Es ist nicht wirklich ein Fehler, vielmehr etwas, über das man länger hätte nachdenken müssen. Und es fallen einem andere Dinge auf, als zu der Zeit, als man an dem Buch geschrieben hat. So ist das auch nach einigen Jahren, nachdem man ein Buch veröffentlicht hat und es als Taschenbuch erscheinen soll. Gerade ist Le bruit des choses vivantes erneut als Taschenbuch bei BQ herausgekommen. In diesem Fall musste ich tun, was ich normalerweise nach der Veröffentlichung meiner Bücher nicht mehr tue: es erneut lesen. Ich hatte den Eindruck, ich würde in die Zeit zurückkehren, als ich es geschrieben habe und mir wurde klar, dass ich mich wirklich auf meinem Weg befinde, ohne Abstriche oder Kompromisse. Ich habe immer nach meinem Kopf gehandelt.

In deinen Romanen ist der Ort der Handlung Montréal. Darauf gibt es viele Hinweise, nur selten benennst du aber die Stadt. Du kommst ursprünglich aus Sorel, gelegen zwischen Montréal und Trois-Rivières, und bist dann nach Montréal gezogen. Wie würdest du die Metropole beschreiben?

Élise: Ich bin mit zwei Jahren nach Montréal gekommen. Ich habe dennoch eine Verbindung zu Sorel, denn meine Familie kommt von dort. Es ist aber eine ganz andere Art von Stadt. Montréal ist meine Stadt. Ich mag sie sehr und dennoch regt sie mich oft auf, im Moment regt mich Québec mit seiner Politik auf. Montréal ist eine Stadt, in der es sich leicht lebt. Sie ist klein und trotzdem kann man vieles machen, jetzt wo ich im Zentrum der Stadt wohne. Sie unterscheidet sich sehr von einer europäischen Stadt, in der man sich schnell verlaufen kann. Hier ist man oft unterwegs, ohne jemandem zu begegnen. In Montréal ist nicht jedes Viertel belebt. Straßen mit vielen Cafés und Bars gibt es im Mile End, vereinzelt in Rosemont, aber in meinem Viertel, in der Nähe der U-Bahnstation Sherbrooke, gibt es davon nur wenige. Es ist anders als in europäischen Städten, wo man an jeder Straßenecke ein Café findet. Das fehlt mir in Montréal.
Als ich noch jung war, fing ich an, durch die Stadt zu spazieren. Ich wohnte mit meinen Eltern in Ville Saint-Laurent, was nicht wirklich ein Vorort ist, aber ziemlich weit weg vom Zentrum. Ich fuhr mit der U-Bahn nach Montréal, ins Vieux-Montréal, und bewegte mich dort wie eine Touristin. Das mache ich sehr gerne. Aber du weißt ja, in Montréal ist es im Winter sehr kalt.

Und dennoch ist die Kälte in deinen Romanen selten präsent.

Élise: Das stimmt. Weniger in meinen Romanen, in denen komischerweise immer Herbst oder Frühling ist. Dafür ist der Norden mit Kälte und Schnee in meiner Dichtung sehr präsent. In Le parfum de la tubéreuse ist es allerdings so, dass der Roman im Winter beginnt. Irène ist dick eingepackt und wenn sie in der Schule ankommt, hinterlassen ihre Schuhe Pfützen von schwarzem Tauwasser.

In diesem Roman hast du ein historisches Ereignis literarisch verarbeitet: den Studentenstreik 2012. Welche Rolle spielt das aktuelle Geschehen in deinem Schreibprozess?

Élise: Das, was in der Welt geschieht, ist in meinen Büchern präsent. Ich hatte vor den Ereignissen vom Frühling 2012 in Montréal und Québec angefangen, an Le parfum de la tubéreuse zu schreiben. Meine Ausgangsidee war, dass die Geschichte in einer Klasse spielt, deren Lehrerin tot ist. Weitere Elemente waren ein Buch der chinesischen Autorin Can Xue und ein Parfum. Ich hatte aber nur wenig Zeit, daran zu schreiben, denn ich arbeitete an der Fertigstellung von meinem Buch Autobiographie de l’esprit. Als dann der Printemps érable begann, hörte ich mit dem Schreiben ganz auf, denn ich war damit beschäftigt draußen zu demonstrieren.
Es gibt eine Ergänzung zu Le parfum de la tubéreuse, die zeigt, inwieweit das Buch vom Printemps érable beeinflusst wurde. Ich gab auch eine Konferenz über den Widerstand mit Kateri Lemmens an der Sorbonne in Paris.
Für uns Autoren führte der Umgang mit der Sprache, die Sprache der Politiker und die Unwahrheiten dazu, dass wir nicht mehr schreiben konnten. Während wir auf all den Demonstrationen waren, ging das zum Ende hin unter. Letztendlich hat sich nichts geändert. Es gab Neuwahlen, es gab einen Anschlag auf die Premierministerin und dann ging alles weiter wie zuvor. Viele Leute und auch ich waren deswegen niedergeschlagen. Es war, als ob man uns einer Sache beraubt hätte. Und da wurde mir klar, wie ich mein Buch fortsetzen würde: Auch wenn meine Erzählerin tot ist, musste es einen Aufstand geben. Ich dachte dabei auch an einen Schauerroman, ohne zu schaurig zu sein. Mir gefiel der Gedanke, die Geschichte in einem Bunker zu platzieren. Anders als in einem Schauerroman spielt die Geschichte nicht in einem Schloss, aber wie in einem Schauerroman sind die Figuren eingeschlossen und es gibt dort einen Aufstand und einen subversiven Diskurs. Ich ließ den Aufstand in einer Schulklasse stattfinden, die sich in einer Art Hölle befindet.
Es gab einige Dinge, die ich als Metapher erscheinen lassen konnte: Während des Printemps érable gab es den Moment, als die Studenten der carré vert-Bewegung, also diejenigen, die gegen den Streik waren, vor Gericht gingen und erwirkten, dass sie von den Lehrern unterrichtet wurden. Das ist für mich das Schlimmste, was passieren konnte, denn das zeigte, welche Bedeutung dem Unterrichten beigemessen wurde. Ich nahm diesen Aspekt in meinem Roman auf, wo die Aufseher im Bunker mit den Mitteln der Dichtung besiegt werden.

Deine Hauptfigur Irène unterrichtet Literatur und als der Streik begann, wusste sie gleich, auf welche Seite sie sich stellt. Sie steckte sich das rote Stoffquadrat an, was nicht ohne Konsequenzen blieb.

Élise: Es gab viele Lehrer, die solche Art von Konsequenzen traf. Aber dass sie rausgeworfen wurden, glaube ich eher nicht.

Bevor sie endgültig gehen musste, kam Irène erst nach einer langen Abwesenheit wieder an die Schule zurück. Sie litt an Erschöpfung, Depression.

Élise: Der Grund ihres Ausfalls wird nicht genau benannt, aber man merkt, dass sie sehr müde war, an Depression litt. Die Ursachen liegen meiner Meinung auch darin, was die Schule und das Unterrichten heute geworden sind. Als dann die Demonstrationen begannen und daraus eine soziale Bewegung wurde, glaubte sie, alles würde endlich in die richtige Richtung gehen, was dann aber doch nicht geschah.
Der Grund für ihre Depression ist fast nicht zu erkennen: Die Ausrichtung der Universitäten und Schulen in Québec auf die Wirtschaft. Ich weiß nicht, wie das in Europa ist, aber bei uns wird Literatur pro Trimester unterrichtet. Die Literatur ist dabei fast etwas Nebensächliches geworden. Der Fokus liegt auf der Art und Weise, eine Hausarbeit zu schreiben, ein Werk literarisch zu analysieren und so weiter. Irène mochte das nicht. Und ich auch nicht.

Dafür wird sie von ihren Kollegen und auch von den Eltern der Schüler stark kritisiert.

Élise: Ja, weil sie z.B. Frankenstein von Mary Shelley unterrichtet, aber nicht in der richtigen Art und Weise, d.h. nicht so, wie es im Buch geschrieben steht. Sie knüpft eine Verbindung zum Leben der Autorin Mary Shelley und zu ihrem Vater, der Anarchist war. Sie stellt also politische Verknüpfungen her und darüber sind die Eltern der Schüler nicht erfreut. Sie setzt auch immer sehr düstere Bücher auf die Leseliste. Darin ähnelt sie mir sehr.

Irène ist jemand, der die Einsamkeit mag und auch oft sucht. Sie hat diese Leidenschaft für die Literatur und die Sprache …

Élise: Wie Élisabeth in La maison étrangère. Auch Élisabeth unterrichtet Literatur und sie hat mit der Zeit herausgefunden, wie und was sie unterrichten will. Am Ende des Romans unterrichtet sie Die kleine Meerjungfrau und sie hat dabei ihre Freude. Le parfum de la tubéreuse ist in gewisser Art die Erweiterung dessen.

Irène ist sehr aufmerksam und sieht sich selbst mit einem Bein inmitten der Gesellschaft und mit dem anderen außerhalb. Sie ist im Leben wie im Tod in einer Zwischenwelt. Denn als sie von einem Blitz getroffen wurde, findet sie sich in einem Bunker wieder. Dort trifft sie erneut auf Théa, eine Freundin, die zu ihrer Feindin wurde. Wie würdest du ihre Beziehung beschreiben?

Élise: Bevor Irène stirbt, lernt sie in der Schule Théa kennen. Théa wusste, dass sie krank war. Als Kontrollperson ist sie eigentlich genau das Gegenteil von Irène. Sie mag ihre Schüler kaum und in ihrer Einstellung zum Unterricht unterscheidet sie sich ebenfalls von Irène. Irène bekommt das nicht mit, denn Théa ist sehr manipulativ. Sie setzt Irène ständig herab und nutzt sie aus, z.B. ihre umfassende Kenntnis von Büchern. Als es Irène dann immer besser geht und sie die Depression hinter sich lässt, verliert Théa die Kontrolle über sie. Da wird einem klar, dass sie Kontrahentinnen sind.
Als dann der Studentenstreik ausbricht, tritt die Feindschaft zu Tage. Beide beziehen entgegengesetzte Positionen. Théa ist nicht wirklich der Gruppierung der carré vert zugehörig, sie ist einfach gegen jegliche Art des Aufstands. Und Irène unterstützt die Bewegung der carré rouge.

Deine Art, die Dinge in Le parfum de la tubéreuse zu benennen und darzustellen, macht das Geschriebene mit allen Sinnen wahrnehmbar. Woher kommt dein Interesse für den Geruch, der sich auch im Titel findet?

Élise: Das war es, was ich wollte. Ich wollte einen sinnlichen Roman schreiben. Mit „sinnlich“ meine ich „mit allen Sinnen wahrnehmbar“, vor allem mit dem Geruchssinn. Als erstes, weil ich Parfums liebe. Ich habe auch die Adresse einer Parfümerie hier in Berlin notiert, in die ich gehen möchte. Mein Interesse für Parfums kommt auch aus dem Buch von Can Xue, Dialogues en paradies. In diesem Buch gibt es eine Kurzgeschichte – die, die Irène mit ihren Schülern analysiert –, in der die Rede von der Nachthyazinthe ist. Nachdem ich es gelesen habe, war ich von der Pflanze mit ihrem menschlichen Geruch besessen. Ich stellte Nachforschungen an: In der Parfumkunst zählt die Nachthyazinthe aufgrund ihres abstoßenden Geruchs und fauligen Noten zu den schwierigen Pflanzen. Aber wenn ein guter Parfümeur mit ihr arbeitet, kann er daraus etwas sehr Schönes machen. Ich begann auch, Parfums der Nachthyazinthe zu testen. Ich habe sie fast alle getestet, nicht alle gekauft, denn dann wäre ich arm geworden. Mit der Zeit wurde sie dann zu einer Art Metapher für die Literatur und das Schreiben.
Im Roman ist Irène im Bunker. Dort hat sie keinen Zugang zu ihren Parfums. Also versucht sie, ihre Parfums in absentia erscheinen zu lassen, mit Erfolg. Sogar ihre Katze kann sie auftauchen lassen. Darin liegt für mich die Kunst der Literatur: Düfte und Dinge erscheinen zu lassen.
Für einen Parfümeur ist es interessanter, mit einer schwierigen Pflanze zu arbeiten, als mit einer weniger interessanten. Ich als Lehrerin möchte Literatur unterrichten, die wie ein Parfum der Nachthyazinthe ist und nicht ein Parfum, das man in der Drogerie kaufen kann. Mich interessieren die verschiedenen, komplexen Ebenen des Parfums und die Tatsache, dass es auf den ersten Blick etwas Abstoßendes hat, aber je mehr man darüber nachdenkt, umso mehr betört es einen.

Die ersten Seiten des Romans sind sehr beeindruckend, denn die passionierte Leserin Irène erklärt ihrer Schülerin, dass sie zu den Worten wird, die sie liest und zu der Autorin, die sie liest. In dem Fall ist es die Autorin Can Xue, deren Buch sie mit in den Bunker nehmen durfte.

Élise: Es ist dieses Buch, das ich ähnlich wie im Roman von meinem Freund bekommen habe. Ehrlicherweise müsste ich sagen, dass ich es ihm stibitzt habe, als ich es in seiner Bibliothek entdeckte. Ich sagte zu ihm, dass es jetzt mir gehöre, weil es das schönste Buch ist, das ich je gelesen habe. Dieses Buch ist immer in meiner Nähe, auch wenn ich es nicht mit auf Reisen nehme. Ich war so von der Autorin und dem Buch fasziniert und aus diesem Grund entschied ich, ein Buch über dieses Buch zu schreiben.
Es ist ein Stück des Widerstands geworden, denn Can Xue wuchs während der Kulturrevolution auf, die durch Mao eingeleitet wurde. Es war eine Zeit, in der der soziale Realismus vorherrschte, aber sie schrieb nicht in dieser Manier. Im Gegenteil ist sie eher dem Surrealismus zuzuordnen. Dies passte auch zu meinem Thema.
Ihr Buch habe ich in der französischen Übersetzung gelesen. Aber es ist nicht einfach zu finden. Mir wurde erzählt, dass es in der Grande Bibliothèque in Montréal vier Exemplare des Buches gibt, die ständig ausgeliehen sind. Es wäre ein schöner Gedanke, dass es wegen meines Buches so ist.

Du verweist also über dein Schreiben auf andere Werke und Literaturen.

Élise: Ja. Wie auf die chinesische Autorin, die komplett frei ist und auf der anderen Seite geht es um meinen Traum als Lehrerin: in seiner Klasse frei entscheiden zu können, welches Buch, welche Kurzgeschichte oder welche drei Sätze aus einem Werk man drei, vier Monate lang bespricht. Was wäre das für ein wunderbarer Gedanke. Stell dir vor, bis wo man gehen könnte. Es ist beinah das Gegenteil von dem, was von uns durch die Arbeit mit Anthologien gefordert wird. Es gibt Lehrer, die nur mit Auszügen arbeiten. Irène steht im Roman nur ein einziges Buch zur Verfügung und sie wird ihr Leben, oder besser gesagt ihren Tod, mit diesem einen Buch verbringen.

Neben Can Xue verweist du auf weitere Autoren wie Edgar Allan Poe, Mary Shelly, Franz Kafka, Herta Müller. So ist das auch in deinen anderen Romanen …

Élise: Weil für mich jedes einzelne Buch gleichzeitig die Literatur verteidigt. Deshalb mag ich diese Verweise auf andere Bücher und Autoren. In Le parfum de la tubéreuse habe ich alle Verweise im Hinblick auf den Schauerroman gewählt. Bei Kafka ist das ein wenig anders, aber Edgard Allen Poe und Mary Shelley schrieben Schauerromane.

Und welche Romane würdest du aus der Québecer Literatur empfehlen?

Élise: Es gibt eine Autorin, die gerade verstorben ist: Nicole Houde. Sie hat einen außergewöhnlichen Roman geschrieben, der für mich zu den schönsten gehört: La maison du remous. Ich mag L’obéissance von Suzanne Jacob sehr. Dieses Buch habe ich oft unterrichtet. Ich mag die Bücher von Patrick Nicol, vor allem La nageuse au milieu du lac.
Meine Tochter Clara Turcotte hat ihren ersten Roman veröffentlicht: Les démoiselles cactus. Das Buch ist gleichermaßen schön, schwierig und lustig und ich kann es nur empfehlen. Sie hat ihren ganz eigenen Stil. Es ist seltsam, das Buch seiner eigenen Tochter zu empfehlen, aber es ist es wert gelesen zu werden, denn ihr Diskurs unterscheidet sich von allem, was bisher über die Gesellschaft, in der sie lebt und z.B. über Essstörungen geschrieben wurde. Und zum Schluss nenne ich noch Port de mer von Luc Mercure und Ma vie rouge Kubrick von Simon Roy.