Wir befinden uns in Ford Detroit, einer fiktiven Version der nordamerikanischen Großstadt, in nicht allzu ferner Zukunft. Die öffentlichen Infrastrukturen sind quasi zusammengebrochen, viele Gebäude stehen leer, die Behörden sind nicht erreichbar, die Supermärkte leer und Menschen, die noch Arbeit haben, selten. Dazwischen erobert die Natur sich langsam die einstige Autostadt zurück.
Wie kann man in so dystopischen – und dabei gar nicht mal so realitätsfernen – Umständen überleben? In der Clyde Avenue zieht die sechzigjährige Gloria in das verlassene Haus ihrer Tochter ein. Sie will verstehen, wer Judith getötet hat und wohin ihre Enkeltöchter verschwunden sind. Mit der Zeit lernt sie die Bewohner·innen der anderen Häuser kennen, begreift, wie prekär und gewaltvoll das Leben in dieser Stadt ist, aber auch, wie solidarisch die Nachbarschaft zusammenhält.
L’avenir erzählt von dieser Welt, in der kleine Gemeinschaften im Angesicht von Bränden, Verwahrlosung und Kriminalität überleben. Tief im weitläufigen Rouge Park floriert abseits der Blicke der Erwachsenen ein Kinderkönigreich. Dort herrschen eigene Gesetze, vor allem aber regiert Erfindungsgeist. Unsicherheit und Chaos sind ständige Begleiter. Als eines Tages der Fluss vergiftet zu sein scheint, ist das fragile Gleichgewicht endgültig in Gefahr. Während die Anführerin Fidji mit einem selbstgebauten Floß eine Aufklärungsmission losschickt, entstehen an anderer Stelle erste Kontakte mit der sonst so sorgsam gemiedenen Erwachsenenwelt – die vielleicht nicht immer nur gefährlich ist.
Catherine Leroux verwebt in L‘avenir unterschiedliche Aspekte zu einer packenden Erzählung: überzeugende und kluge Dialoge, sensible Figuren, die ans Herz wachsen sowie spannungsvolle und actionreiche Passagen. Trotz der eindrücklichen Darstellung von Not, Angst und Gewalt überwiegt am Ende ein Gefühl von Licht. Das Buch zeigt ohne Kitsch, dass uns angesichts einer düsteren Zukunft Zwischenmenschlichkeit und Sensibilität für das Leben, das uns umgibt, Hoffnung geben können. L‘avenir ist eine Ode an die Energie, Resilienz und den Einfallsreichtum von Kindern sowie an das, wofür es sich zu leben lohnt.
Roman
Alto, 2022
354 Seiten
ISBN 9782896945900
28,95 $
Ein Zitat:
« Les fleurs qui poussent le long des voies ferrées sont d’une beauté presque douloureuse. Dans la chaleur minérale des trains et l’odeur du goudron, elles s’élèvent, échevelées, ardentes, s’étirant au passage des convois, inondant les remblais. Elles transforment le silence en murmure. » – Catherine Leroux: L’avenir, Alto, 2022, S. 49