Sœurs volées. Enquête sur un féminicide au Canada von Emmanuelle Walter

25. Oktober 2017 | quélesen

Die französische Journalistin Emmanuelle Walter geht in Sœurs volées. Enquête sur un féminicide au Canada dem Verschwinden der beiden Jugendlichen Maisy Odjick und Shannon Alexander im Jahr 2008 nach. Welche Umstände dazu geführt haben und was im Anschluss daran geschah, versucht sie in Gesprächen mit den Hinterbliebenen und denen, die in die Ermittlungen involviert waren oder darüber in Medien berichtet haben, herauszufinden. Sie traf nicht nur die Mütter der verschwundenen Jugendlichen, sondern auch Frauen, die vom unverhältnismäßig häufigen Verschwinden von Mädchen und Frauen aus ihrer unmittelbaren Umgebung berichteten und ihre eigenen dramatischen Erlebnisse hinten anstellten. Immer wieder verschwinden Frauen indigener Abstammung in Kanada. Manchmal werden sie tot aufgefunden, manchmal bleiben sie unauffindbar. Vergessen werden sie von ihren Angehörigen und Freunden nicht. Viele der Angehörigen haben mit der Polizei schlechte Erfahrungen gemacht, weil sie in den Fällen nicht mit gleichem Engagement vorgegangen sind, wie in anderen Fällen. Ihr Verschwinden wurde oft als Ausriss eingestuft.

2014 legte die kanadische Bundespolizei einen Bericht vor, in dem es heißt, dass seit 1980 etwa 1200 Ureinwohnerinnen getötet wurden oder verschwunden sind. Die Dunkelziffer könnte weitaus höher liegen. So haben sich die Fälle wie die von den beiden Freundinnen aus Québec in den letzten Jahrzehnten kanadaweit gehäuft. Mit Sœurs volées. Enquête sur un féminicide au Canada macht Emmanuelle Walter auf die prekäre Lage aufmerksam. Am konkreten Fall von Maisy Odjick und Shannon Alexander erzählt sie eine von vielen Geschichten, die sich hinter den Zahlen einer Statistik verbergen. In 16 Kapiteln wechselt sie zwischen informativen und beobachtenden Teilen, verwendet Ausschnitte aus Zeitungen und offiziellen Dokumenten und gibt Gespräche wieder, die sie mit Hinterbliebenen, zuständigen Ermittlern und Aktivistinnen geführt hat. Jedes Kapitel wird durch eine ortliche und zeitliche Kontextualisierung eingeleitet, wobei Emmanuelle Walter darin nicht der chronologischen Abfolge der ausgewählten Ereignisse folgt. Dem Essay ist ein Vorwort von Widia Larivière vorangestellt, Texte von Laurie Odjick, Connie Greyeyes und Helen Knott begleiten es.

Emmanuelle Walter: Sœurs volées. Enquête sur un féminicide au Canada
Essay
Lux éditeur, 2014
228 Seiten
24,95 $
Für HarperCollins Publishers haben Susan Ouriou und Christelle Morelli das Buch ins Englische übersetzt, wo das Buch mit dem Titel Stolen sisters.The story of two missing girls, their families, and how Canada has failed indigenous women 2015 erschienen ist. Eine Dokumentation und TV-Serie sind in Planung.

Ein Zitat:
« Quand des femmes meurent par centaines pour l’unique raison qu’elles sont des femmes et que la violence qui s’exerce contre elles n’est pas seulement le fait de leurs assassins mais aussi d’un système ; lorsque cette violence relève aussi de la négligence gouvernementale, on appelle ça un féminicide.
Contre toute attente, notre Canada épris de consensus social est le lieu d’un féminicide à bas bruit. Les victimes, ce sont les filles et femmes amérindiennes.
J’ai découvert cette tragédie fin 2011, un an après m’être installée au Québec. Le Comité des Nations Unies pour l’élimination de toute forme de discrimination à l’égard des femmes, apprenais-je, avait été sollicité pour enquêter sur les assassinats et les disparitions des femmes autochtones du Canada. Cette épidémie d’assassinats, c’était une révélation.
En mai 2014, j’étais en pleine rédaction de ce livre quand la Gendarmerie royale du Canada (GRC) a, enfin, rendu public un rapport sur les femmes autochtones disparues ou assassinées. Pour la première fois, la police canadienne publiait ses chiffres, et ils étaient plus élevés que tous ceux diffusés jusqu’alors. » – Emmanuelle Walter: Sœurs volées. Enquête sur un féminicide au Canada, Lux éditeur, 2014, S. 13-14