Un léger désir de rouge von Hélène Lépine

7. April 2015 | quélesen

Toulouse, Delhi, Louvaine, Paris, Oslo und Coaticook heißen die Kinder der Julliens. Sie tragen die Namen der Städte, in denen sie von ihren weltbürgerlichen Eltern gezeugt wurden. Danach führten sie sie ins Familienhaus auf der Île d’Orléans inmitten des Sankt-Lorenz-Stroms. Für ihre Kinder allerdings sind sie zu oft abwesend. Ihre Großmutter Lili, die ihnen aus den Tagebüchern des Vorfahren François-Marie vorlas, vermittelte ihnen ein Gefühl von Familienzusammengehörigkeit und Geborgenheit. Doch eines Tages war sie fortgegangen und jedes der Kinder musste seinen eigenen Weg finden.

Oslo wurde Sängerin, Delhi Sozialarbeiter, Louvaine Tänzerin und Toulouse schloss sich als Trapezkünstlerin einer Truppe an. Mit ihrem Trapezpartner und Lebensgefährten Odilon wohnt sie zusammen in Montréal, wenn sie nicht gerade auf Tour sind. Eines Tages schlägt sie die Tür hinter der gemeinsamen Wohnung zu und kehrt in ihr Familienhaus zurück. Die Krebsdiagnose und der Verlust einer Brust hatte Odilon von ihr entfernt und sie mit ihren 28 Jahren wieder in den Kreis ihrer Familie geführt. Trost und Unterstützung erhofft sie sich aber vergeblich.

In schwierigen Momenten holt sich Toulouse Zuspruch in Briefen, die sie an den phantasierten Afrikaner Moumbala richtet. Afrika war das Land, in das es den Vorfahr im 18. Jahrhundert geführt hatte. Seine Bücher sind im Besitz der Familie geblieben. Fokussiert auf Moumbala und das perfekte Land, für das er steht, gelingt es ihr, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Ein Jahr lang begleitet Hélène Lépine ihre Protagonistin, die sich nach der medizinischen Behandlung zurück ins Leben kämpft. Weil sie sich in ihrem Elternhaus fehl am Platz fühlt, überwintert sie in einer Waldholzhütte eines Bekannten. Danach kehrt sie wieder nach Montréal zurück und findet dort neue Weggefährten und neuen Mut.

Auf eine sehr poetische und zurückhaltende Art und Weise nähert sich Hélène Lépine in Un léger désir de rouge dem bedrückenden Thema der lebensbedrohenden Krankheit an, die in immer jüngeren Jahren diagnostiziert wird und zeigt, wie Toulouse wieder Herrin ihres eigenen Körpers und ihres Lebens wird.

Hélène Lépine: Un léger désir de rouge
Roman
Hamac, 2012
170 Seiten
18,95 $
2013 zählte Un léger désir de rouge von Hélène Lépine zu den Finalisten des Prix littéraire France-Québec. 2015 erschien der Roman beim belgischen Verlag Luce Wilquin.

Ein Zitat:
« Tant de naïveté à votre sujet, Moumbala, me vient de la lecture simplifiée des carnets de l’ancêtre qui nous faisait ma grand-mère Lili de sa voix flûtée. François-Marie Jullien racontait son Afrique, celle où le roi des Français avait envoyé son bataillon à la fin du dix-huitième siècle. Il faudrait que je suive le fleuve, que j’emprunte la mer et atteigne vos rivages. Vous décrouvrir tels que vous êtes maintenant, dans vos maisons qui ne sont plus forcément des cases, au cœur des violences tragiques qui bouleversent vos nations et nous menacent de cloisonnement vous aussi.
Aussi longtemps que duraient les histoires de l’ancêtre, les mains de Paris jouaient avec les boucles noires de Louvaine, Coaticook se collait aux flancs d’Oslo, Delhi me tenait par les épaules et posait les questions pour moi quand je n’avais pas compris. François-Marie nous remeutait, nous nous accrochions à sa lignée et pouvions alors abattre les cloisons érigées et ressembler à une famille. Nous étions les Jullien, jusqu’à ce que grand-mère Lili retire ses lunettes et range les cahiers fanés. Lili l’ange aux cheveux d’argent est morte et, avec elle, ce rêve timide de famille ouverte que j’entretenais. » – Hélène Lépine: Un léger désir de rouge, Hamac, 2012, S. 27-28